Anfechtung – ein Vertrag kann von Anfang an
beseitigt werden

Was bedeutet Anfechtung im Recht?

Die Anfechtung ist im deutschen Zivilrecht ein Instrument, mit dem eine abgegebene Willenserklärung, beispielsweise beim Abschluss eines Vertrags, mit rückwirkender Kraft beseitigt werden kann. Hat eine Anfechtung Erfolg, gilt das angefochtene Rechtsgeschäft gemäß § 142 BGB als von Anfang an nichtig (ex tunc), als hätte die Erklärung nie stattgefunden. Anders als der Rücktritt, der bereits entstandene Rechtsbeziehungen rückabwickelt, wird durch die Anfechtung das Geschäft vollständig aufgelöst.

Die Anfechtung betrifft primär Willenserklärungen bei Verträgen gemäß §§ 119 ff. BGB, kommt aber auch in anderen Rechtsbereichen zur Anwendung, etwa bei der Annahme oder Ausschlagung einer Erbschaft oder der Vaterschaftsanfechtung außerhalb des BGB. Für diese Sonderfälle gelten spezifische Fristen und formelle Anforderungen.

Gründe für eine Anfechtung

Das BGB unterscheidet verschiedene gesetzlich geregelte Anfechtungsgründe:

  • Inhaltsirrtum (§ 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB): Der Erklärende irrt über die Bedeutung oder Tragweite seiner Erklärung.
  • Erklärungsirrtum (§ 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB): Eine Erklärung wird abgegeben, die so nicht gewollt war (z. B. ein Versprechen, Verschreiben oder Vertippen).
  • Eigenschaftsirrtum (§ 119 Abs. 2 BGB): Falsche Vorstellungen über eine verkehrswesentliche Eigenschaft einer Person oder Sache.
  • Übermittlungsirrtum (§ 120 BGB): Die Willenserklärung wird durch einen Boten falsch übermittelt.
  • arglistige Täuschung oder Drohung (§ 123 BGB): Die Erklärung wird durch Täuschung oder unzulässige Drohung herbeigeführt.

Nicht jeder Irrtum berechtigt zur Anfechtung, insbesondere sogenannte Motivirrtümer (z. B. Fehlkalkulationen oder Wertirrtümer) sind grundsätzlich von der Anfechtung ausgeschlossen.

Fristen und Vorgehen bei der Anfechtung

Die Anfechtung unterliegt strengen Fristen, die zwingend beachtet werden müssen:

  • allgemeine Frist (§ 121 BGB): Die Anfechtung muss unverzüglich nach Entdeckung des Anfechtungsgrundes erklärt werden. Das bedeutet, dass die Anfechtung ohne schuldhaftes Zögern nach Feststellung des Irrtums oder der Täuschung eingereicht werden muss.
  • Frist bei arglistiger Täuschung oder Drohung (§ 124 BGB): Eine Anfechtung aufgrund arglistiger Täuschung oder Drohung ist innerhalb eines Jahres ab Entdeckung der Täuschung oder nach Wegfall der Zwangslage möglich.
  • Frist bei Erbschaftsannahme oder -ausschlagung (§ 1954 BGB): In diesen Fällen gilt eine sechswöchige Frist ab Kenntniserlangung der Anfechtungsgründe.
  • absolute Höchstfrist: Unabhängig vom Einzelfall muss eine Anfechtung spätestens innerhalb von zehn Jahren ab Abgabe der Willenserklärung erklärt werden (§ 121 Abs. 2, § 124 Abs. 3 BGB).

Form der Anfechtung

Die Anfechtung ist grundsätzlich formfrei, sollte jedoch zur Beweissicherung stets schriftlich erfolgen. In besonderen Fällen, etwa bei Erbschaftsanfechtungen, sind spezielle formelle Anforderungen zu beachten.

Erklärungsempfänger (§ 143 BGB)

Die Anfechtung muss gegenüber dem richtigen Anfechtungsgegner, in der Regel dem Vertragspartner, erklärt werden. In Fällen der Ausschlagung einer Erbschaft erfolgt die Anfechtung beimNachlassgericht.

Weitere wichtige Hinweise zur Anfechtung

  • Schadensersatzpflicht (§ 122 BGB): Wer eine Willenserklärung gemäß § 119 oder § 120 BGB anficht, kann zum Ersatz des sogenannten Vertrauensschadens verpflichtet sein. Das bedeutet, der Anfechtende muss für die Aufwendungen der anderen Partei aufkommen, die im Vertrauen auf die Wirksamkeit der Erklärung gemacht wurden.
  • Bestätigung des Geschäfts (§ 144 BGB): Wer das anfechtbare Geschäft nach Wegfall des Anfechtungsgrunds bestätigt, verliert das Recht zur Anfechtung.
  • Unwiderruflichkeit: Eine einmal erklärte Anfechtung kann grundsätzlich nicht mehr einseitig zurückgenommen werden.
  • bedingungs- und befristungsfeindlich: Eine Anfechtungserklärung darf nicht unter einer Bedingung oder Befristung ausgesprochen werden.

Anfechtung – rückwirkende Nichtigkeit als Schutz vor fehlerhaften Willenserklärungen

Die Anfechtung gemäß §§ 119 ff. BGB erlaubt es, eine fehlerhafte Willenserklärung mit Rückwirkung zu beseitigen. Sie wirkt so, als wäre die Erklärung nie erfolgt, ist aber an strikte Voraussetzungen und Fristen gebunden. Die exakte Unterscheidung zwischen Anfechtung, Rücktritt und anderen Lösungsrechten ist für die Wirksamkeit und die Rechtsfolgen entscheidend.